Donnerstag, 28. März 2024
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Alarmstufe: „Rotstift“ in Berliner Bezirken

Aufstellung des Berliner Landeshaushalts

Die Aufstellung des Berliner Landeshaushalts wird nicht einfach. Denn es muss gespart werden, Die Lage ist ernst – und erfordert Einschnitte und neue kreative Lösungen. Acht Bezirksbürgermeister:innen von Berliner Bezirken schlagen nun Alarm, und haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht.


Gemeinsame Erklärung der Bezirksbürgermeister:innen zur Finanzausstattung der Bezirke | Berlin, der 21.02.2022

Sehr geehrte Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin,
sehr geehrte Regierende Bürgermeisterin von Berlin,
sehr geehrter Herr Senator für Finanzen,
sehr geehrte Bürgermeisterin von Berlin,
sehr geehrter Bürgermeister von Berlin,

in der Absicht, den Haushalt des Landes Berlin und die Vorhaben der
Regierungskoalition zu realisieren, steht unsere Stadt vor folgenreichen
Entscheidungen.

Nachdem den Bezirken Berlins erst erhebliche Personalmittel in Höhe von
über 26 Millionen Euro (Umsetzung Zukunftspakt Verwaltung) entzogen
worden sind, sind uns als Leiterinnen der Abteilungen Finanzen Vorgaben
gemacht worden, weitere 78 Millionen Euro einzusparen.

Unter diesen Umständen verfassungskonforme Bezirkshaushalte
aufzustellen, wird immer unrealistischer. Sollte die langjährige
strukturelle Unterfinanzierung der Bezirke erneut verschärft werden,
würde dies in Zeiten zurückweisen, in denen Berlin weitaus
schlechtere Rahmenbedingungen und niedrigere Steuereinnahmen zu
verbuchen hatte.

Berlin ist in den letzten Jahren weiter gewachsen und die
Bezirksverwaltungen sind darüber hinaus mit höheren Anforderungen
konfrontiert. Viele dieser Probleme resultieren aus eben jenen Jahren:
„Sparen, bis es quietscht.“ führte zum Verkauf von Immobilien, zu
einem kolossalen Defizit an Schulplätzen, zum maroden Zustand vieler
Gebäude, zu vernachlässigten Grünanlagen, zu einer verschlafenen
Digitalisierung und einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Die Herausforderungen von Klimaanpassung und Verkehrswende ebenso wie
die noch unabsehbaren Pandemiefolgen beispielsweise in der
psychosozialen Versorgung drohen sich nun in diese Konsequenzen einer
Haushaltspolitik einzureihen, die weder nachhaltig noch sinnvoll
erscheint.

Die Lücke zwischen den jeden Tag zu bewältigenden Aufgaben und den zur
Verfügung stehenden Ressourcen wird immer größer. Hinzu kommen immer
weitergehende politische Wünsche und Projekte der Landesebene, die ohne
ausreichende finanzielle Untersetzung von den Bezirken erbracht werden
sollen.

Die Unterzeichner:innen dieser Erklärung weisen darauf hin, dass ein
solches Vorgehen zwangsweise zu einer weiteren Einschränkung der
bürgernahen Dienstleistungen, zu einer Verschlechterung der
gesetzlich notwendig zu erbringenden Leistungen und zu einer massiven
Kürzung soziokultureller Daseinsvorsorge führen wird. Denn über 100
Millionen Euro fehlen im unmittelbaren Dienst an den Bürger:innen, bei
der Erfüllung von Rechtsansprüchen, bei der Servicequalität, in den
Ordnungsämtern, den Grünflächenämtern, in der Bildung, bei
Personalentwicklung und der Modernisierung des öffentlichen Dienstes als
Arbeitgeber.

Mit dieser Haltung gegenüber der Ressourcenausstattung der Bezirke wird
die Koalition ihre politischen Ziele – auch im Rahmen des
100-Tage-Programms – verfehlen. Qualitativ hohe Zielvereinbarungen zu
Papier zu bringen und gleichzeitig den umsetzenden Bezirksverwaltungen
die Finanzierung zu entziehen, ist ein unauflösbarer Widerspruch.

Der Verweis auf die in Summe der Bezirke vorhandenen Guthaben und
Rücklagen verkennt, dass diese sehr unterschiedlich in den Bezirken
überhaupt vorhanden sind. Solche Guthaben sind dann zur Minderung des
Defizits in der Globalsummenzuweisung und für dringende Investitionen
längst fest eingeplant. Rücklagen werden aufgrund gesetzlicher
Verpflichtungen gebildet und können nicht für Deckungslücken aufgelöst
werden.

Wenn der Senat und das Abgeordnetenhaus den Weg der massiven
Einsparungen weiterverfolgen, stehen die Bezirke erneut vor
Entscheidungen, Investitionen in die Zukunftsfähigkeit zu streichen,
Gebäude und Grundstücke zu veräußern und das Personal in den
Bezirksverwaltungen dauerhaft zu überlasten.

Die Unterzeichner:innen dieses Appells sind – wie alle Bezirke – an
einer guten Zusammenarbeit im Dienste für unsere Bürger:innen auf
Augenhöhe interessiert. Das ist unser Verständnis von gutem
Verwaltungshandeln. Dafür bitten wir Sie, umgehend über die Rücknahme
der Einsparvorgabe und die Rückzahlung der bereits einbehaltenen
Personalkosten, positiv im Sinne unserer Stadt zu entscheiden.

Am 22. Februar 2022 entscheidet der Senat. Die Unterzeichner:innen
sehen sich daher in der Pflicht, auf die Lücke zwischen Aufgaben und
Ausstattung zu diesem Zeitpunkt auch öffentlich aufmerksam zu machen.

Kirstin Bauch — Bezirksbürgermeisterin Charlottenburg-Wilmersdorf

Sören Benn — Bezirksbürgermeister Pankow

Uwe Brockhausen — Bezirksbürgermeister Reinickendorf

Dr. Carola Brückner — Bezirksbürgermeisterin Spandau

Michael Grunst — Bezirksbürgermeister Lichtenberg

Martin Hikel — Bezirksbürgermeister Neukölln

Oliver Igel — Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick

Gordon Lemm — Bezirksbürgermeister Marzahn-Hellersdorf